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Umgang mit über das Kundenportal eingereichten Widersprüchen

Artikel 01. April 2021

Umgang mit über das Kundenportal eingereichten Widersprüchen

Mit unserer Meldung vom 4. Februar 2021 haben wir Sie informiert, dass Widersprüche bis auf Weiteres nicht mehr über das Kundenportal, sondern nur noch schriftlich oder per Fax einzulegen sind, um die Rechtswirksamkeit zweifelsfrei zu gewährleisten.


Hintergrund ist ein Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 24. November 2020 (AZ 13 K 1896/19; einen Auszug aus dem Urteil finden Sie unter dieser Meldung*). Das Gericht sah im dortigen Fall keinen materiellen Anspruch, hat in diesem Zusammenhang aber auch ausgeführt, dass ein Widerspruch, der beim LBV ausschließlich über das Kundenportal eingelegt wurde, nicht dem Formerfordernis gemäß § 70 Absatz 1 VwGO entspreche. In der Vergangenheit hatte das LBV auch die Widersprüche, die ausschließlich über das Kundenportal eingelegt wurden, akzeptiert und eine Sachentscheidung getroffen. Auch wenn das Urteil noch nicht rechtskräftig ist, ändern wir im Einvernehmen mit Gewerkschaften und Interessensvertretern diese Vorgehensweise bis auf Weiteres. Im Folgenden finden Sie Antworten auf die wichtigsten Fragen.


Wann müssen Sie aktiv werden?

Wenn Sie von dem Urteil betroffen sind und einen Widerspruch erneut einlegen müssen, wird das LBV Sie schriftlich darüber informieren. Vorher brauchen Sie nicht aktiv zu werden.


Wann sind Sie betroffen?

Betroffen sind nur Fälle, in denen ausschließlich das Kundenportal zum Einlegen eines Widerspruchs genutzt wurde. Ein Widerspruch, der beispielsweise per Kundenportal-Nachricht angekündigt und anschließend aber schriftlich (über den Postweg oder per Telefax) eingereicht wurde, ist nicht betroffen und erfüllt das Formerfordernis bereits. Das Gleiche gilt, wenn Ihr Bevollmächtigter (noch) schriftlich Widerspruch erhoben hat.


Wie geht das LBV künftig mit Widersprüchen über das Kundenportal um?

Kundinnen und Kunden, die seit dem 4. Februar 2021 einen Widerspruch ausschließlich über das Kundenportal eingelegt haben, werden schriftlich benachrichtigt und erhalten Gelegenheit, ihren Widerspruch schriftlich nachzureichen. Soweit sie die Gelegenheit nutzen, wird das LBV sich in diesen Fällen nicht auf eine Verfristung berufen und trotz einer eventuellen Verfristung in der Sache entscheiden.


Wie geht das LBV mit laufenden Widersprüchen um?

Auch bei laufenden Widerspruchsverfahren informiert das LBV die Betroffenen individuell über die Notwendigkeit einer schriftlichen Nachreichung ihres Widerspruchs. Auch diese Betroffenen erhalten Gelegenheit, ihren Widerspruch schriftlich nachzureichen. Soweit sie die Gelegenheit nutzen, wird das LBV sich auch in diesen Fällen nicht auf eine Verfristung berufen und trotz einer eventuellen Verfristung in der Sache entscheiden.


Wie geht das LBV mit ruhenden Widersprüchen um?

Beim Umgang mit ruhenden Widersprüchen, z.B. gegen die Maßnahmen des Haushaltsbegleitgesetzes 2013/2014, kommt es darauf an, in welchem Bereich Sie Widerspruch eingelegt haben.

1. Beihilfe:
Alle Betroffenen werden angeschrieben und um eine schriftliche Nachreichung ihres Widerspruchs gebeten.
Aufgrund der Vielzahl von Betroffenen erhalten diese ein vorbereitetes Rückantwortschreiben, das ausgefüllt an das LBV zurückgesandt werden soll. Der Versand der Schreiben an die Betroffenen erfolgt voraussichtlich im April.
Bis dahin bittet das LBV, von individuellen schriftlichen Nachreichungen abzusehen, da diese vom Landesamt nicht automatisiert verarbeitet werden können. Auch hier gilt also: Werden Sie bitte erst aktiv, nachdem Sie vom LBV angeschrieben wurden.

2. Versorgung:
Alle Betroffenen werden individuell angeschrieben und um eine schriftliche Nachreichung ihres Widerspruchs gebeten.

3. Besoldung (z.B. amtsangemessene Alimentation, vermögenswirksame Leistungen, freiwillige Weiterarbeit, kinderbezogener Familienzuschlag):
In vielen Fällen ist zugunsten der Betroffenen eine Umdeutung als originärer Antrag möglich. Eine schriftliche Nachreichung des Widerspruchs ist in diesen Fällen nicht notwendig. Sollte in Einzelfällen eine Nachreichung des Widerspruchs erforderlich sein, werden die Betroffenen in-dividuell angeschrieben und erhalten Gelegenheit, ihren Widerspruch schriftlich nachzu-reichen.

Insgesamt gilt: Bitte werden Sie bei ruhenden Widersprüchen erst aktiv, nachdem Sie vom LBV ange-schrieben wurden!

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* Auszug aus dem Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe

13 K 1896/19

….                      -Kläger-

gegen

Land-Baden-Württemberg, vertreten durch das Landesamt für Besoldung und Versorgung Baden-Württemberg,     -Beklagter-

….
hat das Verwaltungsgericht Karlsruhe – 13 Kammer – durch ……
auf die mündliche Verhandlung
vom 24. November 2020
für R e c h t erkannt:

Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.

                                                        TATBESTAND

….
Am 04.10.2017 ging im Kundenportal des Landesamts für Besoldung und Versorgung eine Nachricht des Klägers ein. Dieser war unter anderem ein mit einer einfachen Unterschrift des Klägers versehenes PDF-Dokument vom …. beigefügt, welches einen Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom … beinhaltete. Der Kläger machte unter anderem geltend, …….

                                                ENTSCHEIDUNGSGRÜNDE

….

1.1.
Nach § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO ist der Widerspruch innerhalb eines Monats, nachdem der Verwaltungsakt dem Beschwerten bekanntgegeben worden ist, schriftlich, in elektronischer Form nach § 3a Abs. 2 des Verwaltungsverfahrensgesetzes oder zur Niederschrift bei der Behörde zu erheben, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Der Schriftform genügt eine Widerspruchsschrift dann, wenn sich aus ihr eindeutig ergibt, dass der Widerspruch vom Widerspruchsführer herrührt und mit dessen Willen an die Ausgangs- beziehungsweise Widerspruchsbehörde gelangt ist (BVerwG, Urteil vom 17.08.1968 – II C 112.65-, juris, Rn. 14). Denn der Sinn der Schriftform liegt darin, die Identität des Absenders festzustellen und gleichzeitig sicherzustellen, dass es sich nicht um einen Entwurf, sondern um eine gewollte prozessuale Erklärung handelt (vgl. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, Kommentar, 25. Auflage, § 70, Rn. 2;vgl. zu den Funktionen des Schriftformerfordernisses insgesamt, BVerwG, Beschluss vom 02.07.2020 – 2 WRB 1.20-, juris, R.20) Hiervon ist grundsätzlich dann auszugehen, wenn der Widerspruchsführer die Widerspruchsschrift eigenhändig unterschrieben hat, so dass ihm das Schriftstück zuverlässig und zweifelsfrei zugeordnet werden kann.

Die Schriftform ersetzen kann die Übermittlung der Widerspruchsschrift in elektronischer Form (§ 3a Abs. 2 Satz 1 VwVfG). Der elektronischen Form genügt ein elektronisches Dokument gemäß § 3a Abs. 2 Satz 2 VwVfG indes nur dann, wenn es mit einer qualifizierten elektronischen Signatur nach dem Signaturgesetz versehen ist. Nach § 3a Abs. 2 Satz 4 VwVfG kann die Schriftform auch ersetzt werden durch unmittelbare Abgabe der Erklärung in einem elektronischen Formular, das von der Behörde in einem Eingabegerät oder über öffentlich zugängliche Netze zur Verfügung gestellt wird (Nr. 1); bei Anträgen und Anzeigen durch Versendung eines elektronischen Dokuments an die Behörde mit der Versandart nach § 5 Absatz 5 des De-Mail-Gesetzes (Nr. 2); bei elektronischen Verwaltungsakten oder sonstigen elektronischen Dokumenten der Behörden durch Versendung einer DE-Mail-Nachricht nach § 5 Absatz 5 des De-Mail-Gesetzes, bei der die Bestätigung des akkreditierten Dienstanbieters die erlassende Behörde als Nutzer des De-mail-Kontos erkennen lässt (3.) oder durch sonstige sichere Verfahren, die durch Rechtsverordnung der Bundesregierung  mit Zustimmung des Bundesrates festgelegt werden, welche den Datenübermittler (Absender der Daten) authentifizieren und die Integrität des elektronisch übermittelten Datensatzes sowie die Barrierefreiheit gewährleisten (4.).

Das Schreiben des Klägers vom …, welches in Form eines PDF-Dokuments als Anlage zu der Nachricht im Kundenportal des Landesamts für Besoldung und Versorgung vom … an dieses versandt wurde, wahrt die Schriftform nicht, da es sich bei diesem um ein elektronisches Dokument handelt, das mit Mitteln der Datenverarbeitung erstellt und auf Datenträgern gespeichert werden kann (vgl. dazu Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 25. Auflage 2019, § 55a Rn. 3; s.a. OVG Sachsen, Beschluss vom 19.10.2015 – 5 D 55/14 -, BeckRS, Rn. 10). Entgegen der Auffassung des Klägers führt auch der am … vorgenommene Ausdruck der elektronisch geführten Personalakte des Klägers ein-schließlich des Schreibens vom … nicht dazu, dass ein formgerechter Widerspruch vorliegt (Vgl. OVG Sachsen, Beschluss vom 19.10.2015 – 5 D 55/14 -, BeckRS, Rn. 10). Auch die von Seiten des Klägers in diesem Zusammenhang zitierte Rechtsprechung bezieht sich im Übrigen lediglich auch die Fallkonstellationen, in denen ein Ausdruck der elektronisch übermittelten Datei innerhalb der maßgeblichen (Widerspruchs- beziehungsweise Beschwerde-) Frist erfolgt war (vgl. dazu VG Dresden, Urteil vom 16.09.2015 – 3 K 1566/12 -, juris, unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, BGH, Beschluss vom 18.03.2015 – XII ZB 424/14 -, juris; siehe auch VG Berlin, Urteil vom 06.06.2018 – VG 4 K 258.16 -, BeckRS, Rn. 14). Dies war mit Ausdruck der Verwaltungsakten am … nicht der Fall.

Auch die Voraussetzungen einer Widerspruchserhebung in elektronischer Form nach § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 3a Abs. 2 VwVfG liegen nicht vor. Denn weder enthält das Schreiben vom … eine qualifizierte elektronische Signatur noch stellt die Übermittlung eines PDF-Dokuments über das Kun-denportal des Landesamts für Besoldung und Versorgung einen anderen Fall der zulässigen Ersetzung der Schriftform nach § 3a Abs. 2 Satz 4 VwVfG dar.

Von der der formgerechten Einlegung des Widerspruchs kann auch nicht ausnahmsweise abgesehen werden beziehungsweise stellt sich der Mangel der Schriftform nicht deswegen als unerheblich da, weil die Funktion des Schriftformerfordernisses, insbesondere die Identitätsfunktion mit der Übermittlung des Schreibens vom … über ein durch ein persönliches Passwort geschütztes Kundenportal mit größere Sicherheit erfüllt werden können als bei einer Übermittlung durch einfache E-Mail. Denn mit der Übermittlung über das Kundenportal ohne qualifizierte elektronische Signatur wird ein Übertra-gungsweg gewählt, den der Gesetzgeber aus Gründen der Rechtssicherheit gerade nicht vorgesehen hat. Die in § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 3a Abs. 2 VwVfG normierten Voraussetzungen für die Erhebung eines Widerspruchs in elektronischer Form würden umgangen, wenn unabhängig von den Voraussetzungen des § 3a Abs. 2 VwVfG in jedem Einzelfall eine Prüfung des mit dem Schriftformerfordernis verfolgten Zwecks zu erfolgen hätte. Mit den in § 3a VwVfG enthaltenen Sicherheitserfordernissen ist auch keine unzumutbare Erschwerung der Rechtsverfolgung verbunden, auch wenn deren Einhaltung ein nicht generell vorhandenes technisches Equipment voraussetzt. Denn § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO lässt mit der schriftlichen oder mündlichen Einlegung zur Niederschrift auch andere einfache und allgemein zugängliche Wege der Beschwerdeerhebung zu (vgl. insgesamt BVerwG, Beschluss vom 02.07.2020 – 2 WRB 1.20 -, juris, Rn. 16).

1.2
Da die Formvorschriften dem Übereilungsschutz und der Rechtsklarheit im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren dienen, steht  ihre Einhaltung – anders als die Einhaltung der Widerspruchsfrist – nicht zur Disposition der Widerspruchsbehörde. Diese kann den Formmangel daher nicht durch eine Entscheidung in der Sache heilen. Die Einhaltung der Formvorschriften unterliegt deshalb auch dann der Überprüfung im gerichtlichen Verfahren, wenn die Widerspruchsbehörde – wie hier – über den Widerspruch in der Sache entschieden hat (vgl. dazu insgesamt  BVerwG, Urteil vom 20.06.1988 – 6 C 24.87 -, juris, Rn.9 f. m.w.N.; jüngst in Bezug genommen BVerwG, Beschluss vom 02.07.2020 – 2 WRB 1.20 -, juris, Rn. 21). Aus diesem Grund liegt entgegen der mit Schriftsatz vom … geäußerten Auffassung des Klägers auch keine Konstellation vor, in welcher die Durchführung eines Wider-spruchsverfahrens entbehrlich wäre, weil der Beklagte durch Beantragung der Klageabweisung aus Sachgründen eine abschließende Festlegung zu erkennen gegeben habe (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 22.03.2018 – 7 C 21,16 -, juris, Rn. 19 ff.). Denn für eine im Hinblick auf eine Disponibilität des Widerspruchsverfahrens durch rügelose Einlassung angenommene Entbehrlichkeit ist sowohl eine entsprechende Dispositionsbefugnis als auch eine entsprechende Disposition des Beklagten vorauszusetzen (vgl. zu Letzterem VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 04.03.2009 – 9 S 371/08 -, juris, Rn 35). Auch an Letzterem fehlt es jedenfalls dann, wenn der Beklagte – wie hier – die Formwidrigkeit des Widerspruchs nicht erkannt hat (S. 27 der Verfahrensakte).